Begegnung mit dem Dalai Lama
Nun kommt er also doch nicht im Oktober! Der Dalai Lama hat seinen geplanten Besuch in Europa aus gesundheitlichen Gründen absagen müssen und bleibt in Indien. Die Enttäuschung wird groß sein ? aber auch die Sorge. Denn seine Heiligkeit kränkelt in jüngerer Zeit häufiger und mutet sich zuviel zu. Bei einem derart strammen Zeitplan und beständiger Aufmerksamkeit sind die Batterien des mittlerweile Einundsiebzigjährigen offensichtlich leer. Seine Ärzte rieten ihm, sich endlich einmal zu erholen.
Wie aufmerksam der Dalai Lama genau ist, konnte die Kieler Malerin Moon McNeill im Jahre 1992 in einem Tibetischen Zentrum erleben. Es ist nur eine von vielen ähnlichen Geschichten, die diesen Mann aus Tibet so beliebt gemacht haben. Damals hatte die Malerin als Mitglied des Zentrums der Einweihung eines Stupa beigewohnt und stand nun ganz am Ende der Schlange von Honoratioren und Gästen. Man hatte vorher angesagt, dass seine Heiligkeit kaum vier Minuten haben würde, um seine Runde zu machen, bevor der nächste Termin anstand. Er könne sich unmöglich die Zeit für jeden nehmen. Der vierzehnte Dalai Lama schüttelte bereits die Hände einiger Anwesender am Beginn des Spaliers. Nach ein paar Shake Hands strebte er zügig in Richtung auf den Ausgang. Doch statt hinaus zu gehen, blieb er vor der verblüfften Malerin stehen. Er nahm den dargebotenen Zeremonienschal und legte ihn ihr segnend über die Schulter. Danach wies er mit heiterem Blick auf ihre Schuhe, drückte augenzwinkernd ihre Hand und verschwand. Alle Umstehenden fragten sich, warum gerade sie soviel Glück hatte ? doch sie selbst erkannte es schlagartig. Ihre lose herumbaumelnden Schuhbänder hatten ihm verraten, wie eilig sie es hatte, ihm zu begegnen. Zu eilig, um sich die Schuhe ordentlich anzuziehen!
Eine Tibeterin hatte den Vorfall beobachtet und sagte ?Er sieht alles! Und wo er ist, ist ein Licht!? Wohl wahr! Doch wenn er einmal geht, verlieren wir mehr als das!